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       Üblicherweise hat man ja bei einer Ausstellungs-Eröffnung 
einen wohlgesonnen Festredner, der die Arbeit und die 
Person des Ausstellers ins allerbeste Licht rückt. öffentlich 
gelobt zu werden ist sehr angenehm. Von Oskar Kreibich 
habe ich den schönen Satz gehört: »Sie glauben garnicht, 
wieviel Lob ich vertragen kann!« Es kann aber sein, dass es für 
Sie und Euch, liebe Gäste, spannender ist, vom Urheber selber 
zu erfahren, was sich der Künstler dabei gedacht hat. 
Ich habe kürzlich einem sog. Science-Slam zugehört. Da 
erklärt ein Wissenschaftler in 10 Minuten sein Fachgebiet 
verständlich und möglichst unterhaltsam. 
Das könnte mich reizen: Ein Grafiker erklärt in 10 Minuten 
seine Arbeit ohne Fachbegriffe und möglichst verständlich. 
Worom macht der des? Die Frage stelle ich mir auch 
manchmal. Warum beschäftigt sich einer über Jahre hinweg 
mit dem Aussehen dieser kleinen Stadt Backnang?  
Mein väterlicher Kollege Thomas Naegele hat sich 
in ähnlicher Weise mit der noch kleineren Stadt Murrhardt 
auseinandergesetzt. Er hatte den Vorteil, dass er in New York 
wohnt und somit bei seinen Besuchen den Unterschied 
besonders deutlich sieht. Er hat mir in einem Gespräch Anfang 
der 80er Jahre gesagt: »Was mir do machet, des isch der 
sicherste Weg, dass mr net vorwärts kommt.« 
Oskar Kreibich, der sich ja auch viel mit Backnang beschäftigt 
hat, brachte es mir gegenüber auf den Punkt: »Geld 
verdienen kann man damit nicht - aber ich liebe nun mal dieses 
Nest«. Auch er hatte den Vorteil, von außerhalb zu kommen 
und auf einen Schlag die Eigenart seiner neuen Heimat zu 
erkennen. Beide haben mit ihren Arbeiten etwas für die 
Außenwirkung ihrer Stadt geleistet und die Identifikation 
nach innen gestärkt. 
Im Fachjargon nennt man diesen Prozess Corporate Design. 
Das eigene Selbstverständnis wird nach außen erkennbar 
gemacht. Das führt uns zu zwei ersten Erkenntnissen: 
1. Geld zu verdienen oder künstlerisch vorwärts zu 
kommen, kann nicht der Antrieb sein. 
2. Wenn man in Backnang geboren ist und die Stadt von 
klein auf kennt, tut man sich schwer, ihre Eigenheiten 
zu erkennen. Also muss man sich daran abarbeiten. 
Es geht also um das Bemühen, etwas zu verstehen. Muss 
man nun ein Gebäude peinlich genau zeichnen, das ohnehin 
jeder sieht? Ja! Es sieht ja nicht jeder. Ich bin selber 30 Jahre 
an Häusern vorbeigelaufen, ohne sie zu beachten. 
Also mache ich jetzt das, was ein Grafiker tun sollte: Sichtbar 
machen. Etwas Selbstverständliches neu zeigen und ins 
Bewusstsein rücken. Letztlich ein Bild gestalten, das man 
sich an die Wand hängen kann. 
Hier stolpern wir über eine zentrale Frage: Ist das eigentlich 
Kunst? Oder was sonst? Vor 200 Jahren hat man mit 
dem Begriff Kunst noch das Können eines Handwerks bezeichnet. 
Wir kennen bis heute Begriffe wie Buchdruckerkunst 
oder Handwerkskunst. Rembrandt hat sich als Maler 
verstanden. Der Begriff des Künstlers im heutigen Sinn hat 
sich erst im 19. Jahrhundert entwickelt. Heute muss man 
(handwerklich) nichts mehr können, um Kunst zu machen. 
Leicht überspitzt formuliert: Wenn etwas Kunst sein soll, 
darf es nicht nur keinen Sinn haben, es darf auch schlecht 
gemacht sein. Ein Stuhl, auf dem man nicht mehr sitzen 
kann, hängt dann im Museum of Modern Art an der Wand. 
Aber ich bin ja Grafiker. Früher hieß das Gebrauchsgrafiker. 
Heute sagt man Grafik-Designer. In Zeiten der Schaumschläger 
und Aufschneider klingt das besser, ist aber genau 
das gleiche. Wenn ein Grafiker eine Ortsansicht zeichnet, 
die auf eine Briefmarke gedruckt werden soll, muss er einiges 
an Können aufwenden. Er muss eine Sache auf den 
Punkt bringen. Das Wesentliche betonen. Unwesentliches 
weglassen. Das nennt man Gestaltung (oder auf englisch 
Design). Bei Gestaltung kann man in der Regel überprüfen, 
ob sie gut oder schlecht ist. Wenn sie ihren Zweck 
erfüllt, ist sie gut. Bei Kunst ist das anders. Sie hat ja keinen 
Zweck. Außer - manchmal - schön zu sein. Aber das wird 
von einer grafischen Gestaltung sowieso erwartet. Von meinem 
berühmten Kollegen Otl Aicher, Mitbegründer der 
Ulmer Hochschule für Gestaltung, der die Olymiade 1972 in 
München grafisch gestaltet hat, stammt die Behauptung: 
ãMit dem schlichten Gemüt, mit dem sich Kunst machen 
lässt, kann man keine Schrift entwerfen.« Wir können also 
jetzt schnell die Frage klären, was Kunst heute ist: 
Die Antwort eines Künstlers: 
Kunst ist das, was von einem Künstler gemacht wird. 
Die Antwort einer Kunstpädagogin: 
Kunst ist das, was der Betrachter für Kunst hält. 
Somit hat mich die Frage, ob ich Kunst mache oder nicht, 
garnicht zu interessieren. Als Grafiker gestalte ich Drucksachen. 
Dabei steht die jeweilige Drucktechnik im Mittelpunkt. 
Jede Grafische Technik schränkt die Ausdrucksmöglichkeiten 
ein und zwingt zu planmäßigem Vorgehen. 
Ein paar illustre Namen können das besser zeigen als ein 
Exkurs über Drucktechniken: 
Albrecht Dürer hat den Holzschnitt perfektioniert und 
gezeigt, was den Grafiker ausmacht: Beherrschung des 
Motivs und Beherrschung der Technik. Nebenbei hat er mit 
seinem Monogramm (AD) eines der frühesten und bekanntesten 
Markenzeichen gestaltet. Natürlich hat er sich mit 
den damals neuen Drucktechniken Kupferstich und Radierung 
befasst. 
Rembrandt hat die Möglichkeiten der Radierung ausgelotet 
und auf die Spitze getrieben. 
Die Plakate von Toulouse-Lautrec waren nur möglich 
durch seine Beschäftigung mit der damals neuen Technik 
der Lithographie. Die wunderbaren Plakate des Jugendstils 
konnten nur dank dieser Technik entstehen. 
Der Siebdruck, der im 20. Jahrhundert aufkam, hat die 
berühmten Arbeiten von Andy Warhol möglich gemacht. 
Mich hat die Siebdruck-Technik auch viele Jahre beschäftigt. 
Ein Siebdruck aus dem Jahr 1987 hat es immerhin in 
die heutige Ausstellung geschafft. 
So hat jede neue Drucktechnik den Grafikern ein 
weiteres Werkzeug in die Hand gegeben und eine neue 
Behandlung ihrer Motive möglich gemacht. Dass die 
Druckgrafik mitunter eine geringe Wertschätzung erfährt, 
ist ein altes Phänomen. Nachdem man die in Backnang eingetroffene 
Riecker-Sammlung durchgesehen hatte war der 
damalige Bürgermeister Dr. Rienhardt enttäuscht. Zitat: 
»Es sind nur wenige gute Stücke vorhanden. Der Rest sind 
minderwertige Kopien.« 
Und jetzt gibt es den Digitaldruck. Die neuen Werkzeuge 
sind Zeichenprogramme, Cumputermaus und Digitaldruckmaschinen. 
Als Grafiker muss ich heute druckfertige 
Daten abliefern. Es bleibt also garnichts anderes übrig, 
als das Beste daraus zu machen und die Möglichkeiten der 
neuen Werkzeuge zu nutzen. 
Die jungen Kollegen wissen das nicht mehr, aber vor 25 
Jahren haben wir schwarze Linien mit Tusche auf Papier gezeichnet 
oder, ganz modern, mit Krepp-Bändern geklebt. 
Farbflächen haben wir aus Maskierfilm geschnitten und mit 
der gewünschten Druckfarbe bezeichnet. Ob es gut war, 
hat man erst nach dem Druck gesehen. 
Heute kann man vor dem Bildschirm die Stärke einer 
Linie nachträglich verändern und die Druckfarben so lange 
abstimmen, bis alles gut aussieht. Aber es ist immer noch 
von Vorteil, wenn man vorher weiß, was man darstellen 
will. Dazu gibt es nichts besseres als eine Handskizze. 
Beim Hängen dieser Ausstellung hat mich eine Dame 
angesprochen: »Was ist das für eine Technik?« Auf meine 
Antwort: »Digitaldruck« hat ihr Interesse spürbar nachgelassen. 
Ach so, das kommt aus dem Computer. 
Der Computer kann alleine so wenig zeichnen wie ein 
Bleistift allein zeichnen kann. Wenn man damit gestalten 
will Ð jenseits von ein paar Filtern in PhotoShop Ð dann 
muss man die Werkzeuge zu beherrschen lernen. Eine 
Etappe auf diesem Weg können Sie heute abend in dieser 
Ausstellung begutachten. 
Die Spannweite der Möglichkeiten ist riesig, zumal in 
der Kombination mit traditionellen Techniken. Das fängt 
an mit reinen Handzeichnungen. Diese interessieren mich 
nicht als Original, sondern als Material zur Bildgestaltung 
Ð indem mehrere Teilzeichnungen digital zu einem Gesamtbild 
zusammengesetzt werden. Dieses kann man ausdrucken 
und mit Aquarellfarbe kolorieren. Das hat einen 
gewissen Charme. Viel spannender ist die Möglichkeit, die 
Handzeichnung mit farbigen Flächen zu hinterlegen. Diese 
werden mit dem Mauszeiger in mühevoller Kleinarbeit angelegt. 
Die zugewiesene Farbe lässt sich später ändern. 
Der nächste Schritt ist dann die reine Digitalzeichnung. 
Hier wird auch das Liniengerüst Klick für Klick mit 
der Maus gezeichnet. Sie werden feststellen, dass sich viele 
der dargestellten Gebäude so nicht um alles in der Welt 
fotografieren lassen. Es geht also der Zeichnung eine Art 
Re-Konstruktion voraus. 
Die 10 Minuten sind wahrscheinlich vorbei. Wer es 
noch genauer wissen will, darf mich gerne den ganzen 
Abend ausfragen. Wenn ich darf, möchte ich noch etwas 
zum Gegenstand meiner Arbeit sagen. 
Was man hier heute abend sieht, ist genau das, was auf 
der Einladung seht: Mein Stadtrundgang. Eine kleine 
Wanderung vom Rathaus ausgehend, den Burgberg hinauf, 
die Erbstetter Straße hinaus, über die Murr zur Schöntaler 
Höhe, an der Limpurg vorbei zu Hagenbach und 
Koppenberg, die Sulzbacher Straße herein zur Bleichwiese 
und nach einem Abstecher zur Spinnerei zurück in die 
Stadtmitte. 
Was als besonders typisch haften bleibt, sind die extremen 
Kontraste im Stadtbild. Geschichtlich bedingt durch 
Brände und Kriege, die immer wieder hoffnungsvolle Entwicklungen 
abgewürgt haben. Durch das Entstehen und 
Verschwinden von Industrien. Und nach dem 2. Weltkrieg 
durch das Bestreben, nun endlich richtig modern zu sein. 
Die autogerechte Stadt war das Planungsziel. Das Stadtbild 
ist ein Prozess, nie fertig und immer im Wandel. Letztlich 
abhängig von den jeweiligen Bedürfnissen und Möglichkeiten 
der Bewohner. Und da ändert sich immer etwas. 
Am Beispiel unseres Stadtturms habe ich vieles von 
dem verstanden, was unser Stadtbild heute ausmacht. Der 
Württembergische Hofbaumeister Heinrich Schickhardt 
hat 1615 den Turm der Michaelskirche bis zur Oberkante 
des Chors abgetragen und um zwei Steingeschosse erhöht, 
abgeschlossen von einer umlaufenden Galerie. Die Hochwächterwohnung 
hat er aus Holz gebaut, weil das Gewicht 
weiterer Steine die Statik des Chors überfordert hätte. 
Natürlich wollte Schickhardt einen imposanten Steinturm 
haben. Also wurde das Fachwerk verblendet Ð man kann 
ruhig davon ausgehen, dass man Steine auf die Fassade 
gemalt hat, um eine einheitliche Optik zu bekommen. So 
wie am Turm der Stadtkirche in Cannstatt, den Heinrich 
Schickhardt ebenfalls umgebaut hat. Das gesamte Dach 
war einheitlich mit Kupfer bedeckt. Ein imposanter und 
städtisch wirkender Turm. Nach dem Stadtbrand (1693) 
hat man den abgebrannten Holzteil schnell wieder aufge- 
baut, weil man den Turm als Hochwacht gebraucht hat. 
Die Stadt war völlig pleite und man hat mit den letzten 
verfügbaren Materialien gearbeitet. Der Zimmermann 
musste Holzteile zusammensetzen und er hat nicht einen 
einzigen Balken mehr verwendet als unbedingt nötig. Er 
war sicher froh, als alles verputzt war. Kupfer für das gesamte 
Dach war nicht verfügbar, also hat man den Helm in 
der Not mit Schiefer gedeckt. So stand der Turm bis 1935. 
In diesem Jahr hat man das Fachwerk freigelegt. Man wollte 
über dem früheren Marktplatz, der jetzt Adolf-Hitler- 
Platz hieß, keinen welschen Renaissance-Bau, sondern 
Deutsches Fachwerk sehen. Die freigelegten Balken wurden 
modisch braun angestrichen. 
Fachwerk wird heute oft als ein Wert an sich gesehen. 
Dabei ist es nichts anderes als ein Konstruktionsprinzip. 
Ein Holzhaus in Fachwerk-Bauweise ist schneller und billiger 
erstellt als ein Steinhaus. Es brennt allerdings auch 
schneller ab. Wer es sich leisten konnte, hat das Fachwerk 
verputzt, damit es nicht ländlich-ärmlich wirkt sondern 
vornehm-städtisch. Später wurde zum Brandschutz das 
Verputzen vorgeschrieben. In der Stadtchronik ist zu lesen, 
dass 1884 das Fachwerk am Rathausgiebel freigelegt wurde. 
Es war also sogar das verzierte Schmuckfachwerk lange 
Zeit verputzt. 
So haben wir heute einen Stadtturm, der aussieht wie 
der Turm einer Dorfkirche. Aber wir haben uns dran gewöhnt. 
Nicht wenige Backnanger sind der Meinung: »des 
war scho emmer so«! 
Zum Schluss bleibt mir noch die Frage: was macht man 
jetzt mit den ganzen Motiven? Wer will, kann sich eines in 
die Wohnung hängen. Sie sind erschwinglich. Für den 
Grafiker und Buchgestalter gibt es aber auch den verlockenden 
Gedanken, das Ganze wieder in einen kleinen 
Stadtführer zu packen. Das wäre praktisch mein Büchlein 
»Backnang Ð meine Stadt« in der Version 2.0. Ich habÕs 
natürlich probiert. Hier ist ein Prototyp mit dem Titel 
»Backnang Ð mein Stadtrundgang«. Aktualisiert, stark 
erweitert und mit einem Stadtplan versehen. Wenn es 
gedruckt wird, sollte es einen sinnvollen Zweck erfüllen. 
Und das wäre für mich im Moment, dass der Erlös aus 
dem Verkauf in die Renovierung der Stiftskirche fließt. 
Herr Bäuerle hat zugesagt, dass die Kreissparkasse 
dieses Projekt unterstützen möchte. Ich hatte letzte 
Woche gemeinsam mit Herrn Dekan Braun eine Reihe von 
Gesprächen: mit Herrn Kreutzmann von der gleichnamigen 
Buchhandlung, mit Frau Werner von der Buchhandlung 
Osiander und mit Herrn Stroh von der Backnanger Kreiszeitung. 
Alle wären bereit, diese Aktion mit ihren Möglichkeiten 
zu unterstützen. Ich darf also hier ankündigen, dass 
dieses kleine Geschenk rechtzeitig zum sogenannten Weihnachtsgeschäft 
fertig werden soll. Es wird im Buchhandel, 
bei den Filialen der Kreissparkasse und in den Geschäftstellen 
der Backnanger Kreiszeitung für 15 Euro erhältlich sein. 
Nach unserer vorläufigen Kalkulation würden davon ca. 10 
Euro in die dringend nötige Renovierung der Stiftskirche 
fließen. Also ein Geschenk. das doppelt Freude macht. 
Und jetzt vielen Dank für Ihre Geduld. 
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