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       Sehr geehrter Herr Bomm,  
        geschätzter Herr Baßmann, 
        meine sehr geehrten Damen und Herren, 
       
        ich bin hier geladen, um über das künstlerische Schaffen von 
        Hellmut G. Bomm im Allgemeinen und über diese Ausstellung im Besonderen 
        zu sprechen und ich empfinde dies als einen höchst ehrenvollen Auftrag. 
        Diese »Einführung« soll keine Laudatio werden, denn dieses 
        schöne lateinische Wort heißt ja wohl Rühmen, Preisen, 
        Hervorheben, zuweilen sogar übertreiben. Ich werde einen Teufel tun 
        - und Bomm weiß das auch. Denn nichts ist unangenehmer für 
        einen Künstler, Grafikdesigner und/oder Buchautoren und das ihm ohnehin 
        wohl gesonnene Publikum, als wenn sie erleben müssen, wie die Resultate 
        eines keineswegs immer leichten, faktisch mit inneren Zerreißproben 
        angereicherten Schaffensprozesses vom klebrigen Zuckerguss eines Laudators 
        zugedeckt und ungenießbar gemacht werden.  
       Mir geht es an dieser Stelle vielmehr um Hintergründe, die vielleicht 
        dazu geeignet sind, das ein wenig besser einordnen zu können, was 
        wir hier sehen. Und jetzt könnte man einwerfen, dass selbst dieses 
        entbehrlich ist, da doch Bomms künstlerisches oder graphisches Werk 
        als überwiegend realistisch bezeichnet werden kann und die Betrachter 
        für das doch Offenkundige und für alle Sichtbare nicht sensibilisiert 
        werden müssen. 
        Ich denke, dass wir jedoch diesem weit verbreiteten Klischee entgegen 
        treten sollten. Und das ist eben die Meinung, dass jeder doch Augen im 
        Kopf habe und also die ihn, die uns umgebende Realität mit der bildlichen 
        Wiedergabe vergleichen könne, um danach ein Urteil über das 
        künstlerische Gelingen oder Misslingen abzugeben. Kritik könnte 
        bei dieser Betrachtungsweise namentlich an Abweichungen von der Natur 
        geübt werden - an den Größenverhältnissen der Dinge 
        zueinander, der Farb- und Schattengebung, der räumlichen Disposition 
        usw. - also daran, dass der Künstler die Wirklichkeit der Dinge nicht 
        gut genug nachgeahmt hat. Wir alle wissen - und das ist der wichtigste 
        Einwand gegen diesen Vergleich zwischen der Natur und der Kunst - dass 
        das denkende Auge des realistischen Künstlers durchaus anders funktioniert 
        als die optisch neutrale Linse eines Fotoapparates und dass folglich auch 
        die im einen Fall quasi automatisch, im anderen geistig-emotional hervorgebrachten 
        Bilder unterschiedlich sein und von einander abweichen müssen. 
        
        Der Künstler wählt aus seiner und unserer Lebensrealität 
        ein Objekt aus und macht dieses zum Bildmotiv. Dabei verliert dieses Objekt 
        seine reale Funktion, seine Benutzbarkeit. Die Wiedergabe im Bild verleiht 
        ihm jedoch neue, zusätzliche Dimensionen und Funktionen und diese 
        sind eben ästhetischer und geistig-emotionaler Art. Der Romantiker 
        Caspar David Friedrich hat aus diesem geistigen, seelischen Mehrwert, 
        den jedes Bild besitzen müsse, die Berechtigung der Malerei überhaupt 
        abgeleitet. Er schrieb: »Der Maler soll nicht bloß malen, 
        was er vor sich sieht, sondern auch das, was er in sich sieht. Sieht er 
        aber nichts in sich, so unterlasse er auch (ab)zumalen, was er vor sich 
        sieht«. Und noch etwas knapper hat dies Paul Klee gesagt: »Kunst 
        gibt nicht Sichtbares wieder, sondern macht sichtbar«. 
       
        In aller realistischen Kunst, die diesen Namen verdient, geht es genau 
        um diesen Aspekt: nämlich durch die Auswahl, Wiedergabe und Komposition 
        realer Objekte eigene Gedanken und Gefühle sichtbar und dem Betrachter 
        auf dem Wege der Assoziation, also der kreisenden Gedanken, verständlich 
        zu machen. Und dem wollen wir in den nächsten Minuten in 10 Kapiteln 
        etwas nachspüren. 
      1. Der Mensch 
       
        Man muss ihn einfach mögen...  
        Stets freundlich, hilfsbereit, unaufgeregt, bescheiden, zuweilen sparsam 
        mit Worten, ein wacher, analytischer Blick, penibel bei dem was er tut, 
        Kompetenz bis in die schütteren Haarspitzen. Ihm liegt seine Heimat 
        sehr am Herzen und darüber hinaus nimmt Hellmut G. Bomm das Leben, 
        wie es kommt: Ohne Sentimentalitäten, ohne überkandidelten Anspruch 
        trotz hohem Können und immer ein spitzbübisches Lächeln 
        in der Hinterhand. Einen wie ihn hätte man gern zum Nachbarn und 
        über und mit solch einem Menschen spricht man gerne - und zwar mit 
        aller Hochachtung. 
       
        2. Backnang 
      Hellmut G. Bomm, der mit Ausnahme weniger Jahre stets in Backnang gelebt 
        und gearbeitet hat, hat diese Ausstellung im Sinne einer Werkschau sehr 
        sorgfältig und bewusst zusammengestellt und zeigt viele Aspekte seines 
        bisherigen Schaffens. Nirgendwo sonst hat man zuvor ein derartiges ästhetisches 
        Volksfest in Sachen Bommscher Grafik und Typografien feiern können 
        - angereichert mit dem gerade erschienenen Buch mit dem beziehungsreichen 
        Titel »Backnang - meine Stadt«. Und wenn ich Buch sage, dann 
        meine ich eher »Liebesbekenntnis« an »seine« Stadt, 
        deren Physiognomie der Orte und wechselvolle Geschichte ihn besonders 
        interessieren und faszinieren. Der jeweilige gezeigte Ort vermittelt Stimmungen 
        und weckt Gefühle und erhält so auf einmal Wesenszüge. 
        Es ist eine innige Auseinandersetzung mit dem breiten Spektrum der »gebauten 
        lokalen Lebenswelten«. Und es gelingt ihm, den jeweiligen genius 
        loci zu fokussieren - sei es über die geschichtliche Bedeutung eines 
        an einem Ort erscheinenden »Zeitgeistes« und eines soziokulturell 
        konstruierten »Ortsgeistes«, oder aber über die Bedeutungen 
        von ästhetischen und synästhetischen Qualitäten der dargestellten 
        Orte. Bomm versucht hier im oberen Bereich dieser Ausstellung die teilweise 
        verborgenen Strukturen Backnangs aufzudecken und »die Physiognomie 
        einer unbekannten Schönen« - um mit Oskar Kreibich zu sprechen 
        - sichtbar zu machen.  
       Die Stadtansichten, wie sie hier oben angeboten werden, verweisen alle 
        auf eine subtile Beschäftigung mit dem jeweiligen Ort. Und es beruht 
        ganz auf der Bommschen Leistung, dass die scheinbare Mühelosigkeit 
        der Blätter nicht vermuten lässt, welch »schwere Forschung« 
        - im Sinne des Geburtsprozesses der künstlerischen oder grafischen 
        Position - sich »hinter deren lieblicher Hülle« verbirgt. 
        Die Bildwelten der Grafiken werden unweigerlich zu Stimmungsträgern 
        eines unterschiedlich agierenden Kolorits, differenzierter Techniken und 
        sehr verschiedener (vom groben bis zum feinsten Strich führenden) 
        Darstellungsweisen, gleichsam als ob sich in ihnen das einstige Befinden 
        des Künstlers im Moment der Komposition verankert.  
       Dabei spielt es keinerlei Rolle, dass diese Grafiken, die sich (bis 
        auf wenige zusätzliche) alle auch in dem Büchlein wieder finden 
        und dem historischen Stadtrundgang folgen, zu großen Teilen Computerdrucke 
        sind. In Digital Fine Art Printing mit einer Lichtechtheit von 75 Jahren 
        gedruckt, handsigniert, nummeriert und mit dem heutigen Datum versehen 
        sind diese großen Drucke, wie auch die kleinformatigeren, in einer 
        Mappe erwerbbaren Drucke Originale wie jeder Siebdruck, wo die einzelnen 
        Drucke stets kleinste Abweichungen von einander aufweisen. Keine Frage: 
        egal, welcher Technik sich Bomm bedient hat (ob ältere Federzeichnung, 
        Siebdruck oder aktuelle Computergrafik), alle Blätter sind als Bomms 
        erkennbar und besitzen dessen einzigartigen Ausdruck einer weichen, poetischen 
        Stimmung und besonderen Ästhetik, selbst wenn der Grafiker selbstkritisch 
        darauf hinweist, dass - über alle Blätter betrachtet - diesen 
        die Durchgängigkeit fehlt. Angesichts der unterschiedlichen Techniken 
        muss dies so sein und macht schlussendlich auch den Reiz dieser Ausstellung 
        aus. 
       Es gelingt ihm jedenfalls, am Nerv der Stadt zu rühren, diesen 
        freizulegen und die bauliche Einzigartigkeit von Backnang herauszuarbeiten. 
        Und er steht im übrigen zur Subjektivität seiner Auswahl, die 
        sich zentrifugal orientiert und deshalb vorrangig die Kernstadt zum Thema 
        hat. Mit seiner Betonung der inneren Qualitäten erteilt er damit 
        auch eine Absage an eine Fokussierung der Außenkräfte, der 
        Bauten jenseits der Kernstadt - auch wenn man bedauern mag, dass beispielsweise 
        die Spinnerei keine Berücksichtigung gefunden hat.  
        Seine baukulturelle Aussage ist darüber hinaus zwar sehr geschichtsorientiert 
        zu verstehen, aber er widersteht der Versuchung, unsere Stadt ausschließlich 
        konservierend und bewahrend zu sehen, denn eine solche Denke führt 
        unweigerlich dazu, dass Stadt selbst zur Konserve wird. Freitreppe beim 
        Markgrafenhof, die Ericsson- und Telent-Gebäude, der Biegel werden 
        als Motive aufgegriffen und selbstverständlicher Teil seiner Stadtsicht 
        - wenn auch manchmal mit kritischem Unterton, aber dazu später mehr. 
        Denn hohe Identität mit »seiner« Stadt bedeutet, dass 
        Bomm durchaus zuweilen an den Entwicklungen unserer Stadt leidet... 
       
        3. Der Mentor 
      Das Bommsche Schaffen in Grafik und Buch steht mit seiner Leidenschaft 
        für Backnang ganz in der Tradition seines Mentors - und der hieß 
        Oskar Kreibich, der -- wie Sie wissen - noch immer im Rathaus mit einer 
        Gedächtnisausstellung zu seinem 90. Geburtstag geehrt wird. Kreibich 
        kam nach dem Krieg 1946 als Heimatvertriebener nach Backnang und war hier 
        bis zu seinem Tod 1984 als freischaffender Künstler tätig (mit 
        Atelier im Schweizer-Bau). Er war sicher einer der prominentesten Künstler, 
        die je in Backnang gelebt haben, und er hat ein umfangreiches und hoch 
        geschätztes, universelles Lebenswerk hinterlassen, das Gemälde, 
        Grafiken und Illustrationen sowie bildhauerische und literarische Arbeiten 
        umfasst. Er war Backnang nicht nur liebevoll verbunden, sondern geradezu 
        von dieser Stadt infiziert, - Stadtturm, Rathaus und Stiftskirche müssen 
        ihn schier erschlagen und zur dauerhaften Auseinandersetzung gereizt haben. 
        Und mit seinem künstlerischen Auge hat er in der Stadt wohl mehr 
        gesehen, als jeder Einheimische (und hier verweise ich gerne auch auf 
        seine Bücher »Backnang - vorwiegend heiter« und »Backnang 
        - ein Wintermärchen«).  
       Kreibich empfand unsere Stadt als verehrungswürdig und schön 
        und bekannte sich freimütig zu ihr. Und ich weiß, dass dies 
        auch für Hellmut G. Bomm gilt, der Kreibich noch bei seiner letzten 
        Ausstellung unterstützte. Kreibich und Bomm waren einander sehr freundschaftlich 
        verbunden und die gegenseitige Zusammenarbeit haben beide als befruchtend 
        gesehen. Wie sonst wäre es möglich gewesen, dass Kreibich einmal 
        mit einem Bild nicht weiterkam und Bomm aufforderte: »Nimm Du den 
        Pinsel und bring' Farbe ins Bild!« In seinem letzten Lebensjahr 
        brachte Kreibich Bomm seine Unterschrift in mehreren Größen 
        vorbei, mit dem Hinweis: »Hellmut, die kannst Du sicher mal gebrauchen«. 
        Das vorliegende kleine Backnang-Buch setzt die Kreibich-Buchreihe - sicherlich 
        mit einem anderen, nämlich grafisch orientierten Anspruch - fort, 
        ohne dem Versuch zu unterliegen, kopieren zu wollen. Und es steht natürlich 
        in der Tradition seines 1987 selbst publizierten Buches »Backana«, 
        das Bundespräsident Köhler bei dessen diesjährigem Besuch 
        überreicht wurde. Nicht erst mit seinen heutigen Arbeiten hat sich 
        Bomm längst zum erfolgreichsten Public-Relations-Mann für Backnang 
        gemausert. 
      Und es war der Verdienst von Marlies Weller, ihres Zeichen Buchhändlerin 
        bei Kreutzmann, die den Gedanken, ein Buch aufzulegen, immer wieder penetrierte, 
        wurde sie doch einmal von Bomms Vater gefragt, was sie eigentlich den 
        frisch zugezogenen Neu-Backnangern, die etwas über ihre Stadt wissen 
        möchten, anzubieten habe. Sie antwortete wohl mit »Ihr Straßenbüchle« 
        (also von Bomm-Vater). Augenscheinlich gibt es darüber hinaus noch 
        immer eine erhebliche Nachfrage nach einem handlichen Büchlein mit 
        knappen Informationen und außergewöhnlicher Grafik. Und diese 
        Lücke sollte mit dem aktuellen Buch von Hellmut G. Bomm (Sohn) geschlossen 
        werden. Schlussendlich brach sie seinen Widerstand, veranlasste ihn Vorhandenes 
        aus den Schubladen herauszuziehen, Neues zu erarbeiten, erklärende 
        Texte zu verfassen, auszuwählen, zu systematisieren und dem Ganzen 
        eine Richtung zu geben. Herausgekommen ist ein perfekter Begleiter durch 
        unsere Stadt, eine Hommage an Geschichte, Landschaft, Architektur und 
        Städtebau unseres liebenswerten, lebendigen Gemeinwesens. 
       
        4. Exkurs: Die Bauchweh-Stadt 
      Wer zum ersten Mal mit dem Auto nach Stuttgart kommt, also beispielsweise 
        vom hoch thronenden Stadtteil Degerloch die Neue Weinsteige hinabkurvt, 
        dem erschließt sich augenblicklich die Sinnfälligkeit eines 
        alten Werbe-Spruchs: »Stuttgart - Großstadt zwischen Wald 
        und Reben«. Rechts der Straße Weinstöcke, zum Greifen 
        nah. Links unten in der Talmulde die Stadt. Rundum grožes Landschafts-Theater, 
        Hügelketten, Grün in allen Schattierungen. 
        Wenn aber der Besucher ein paar Tage spüter die Stadt verlässt, 
        viele Bilder und Gespräche im Kopf sowie reichlich Kilometer in den 
        Beinen, wird auch ein anderes Bonmot sinnfällig geworden sein: »Stuttgart 
        - Großstadt zwischen Hängen und Würgen«. Stuttgart 
        und sein Selbstwertgefühl: Die Vergangenheit bietet wenig; die Zukunft 
        ist umstritten, aber in der Gegenwart lässt sich's ganz gut leben... 
        Wie aber steht es um das Selbstwertgefühl von Backnang, der so genannten 
        Murrmetropole? Nun, die Vergangenheit, und das zeigt Bomm mit seinem Buch 
        dezidiert auf, bietet viel. Und die Gegenwart hält große Lebensqualität 
        bereit - trotz mancher Unkenrufe. 
      Und die Zukunft? 
        Bomm lehnt mit dem Umschlagtext eine Selbstdarstellung in Großbuchstaben 
        ab - wahrscheinlich schreibt man deshalb das Wort »Metropole« 
        weitestgehend in Kleinbuchstaben. Und er wünscht sich eine Zukunft 
        mit mehr Mut, das Besondere Backnangs zu erkennen und zu entwickeln. Und 
        dem kann ich nichts hinzufügen. 
      5. Die Treppe 
       
        Vielleicht meint er just den Mut, den unsere Stadtväter mit dem - 
        wie ich finde - weisen Entschluss für die Außentreppe am Turmschulhaus 
        hatten, deren Aufstellung ich - ob des blanken, frischen Cortenstahls 
        - mit großem Unbehagen verfolgt habe. Allerdings gehöre ich 
        zu jenen Backnangern, die sich - wegen des anhaltenden Patinisierungsprozesses 
        - heute an diesem Bauwerk erfreuen können. Denn der warme Rost-Ton 
        und die architektonischen Gegensätze an diesem Standort versinnbildlichen 
        für mich den Gedanken der ständigen Veränderung des komplexen 
        Lebens. 
        Mehr im Sinne eines Gimmicks, also einer interessanten, attraktiven Zugabe, 
        nimmt sich Bomm diesem Backnanger Wahrzeichen an und zeigt hier oben unbearbeitete, 
        unverfälschte Digitalkamerabilder, Ausschnitte des stählernen 
        Segels mit einer hohen ästhetischen Qualität - Farbnuancen, 
        die sich nur dem erschließen, der intensiv zu schauen in der Lage 
        ist - Form- und Farbspiele auf Rost. Bomm betitelt - als expliziter Befürworter 
        unseres stählernen Monumentes - seine Serie mit »Narrentreppe« 
        und bildet damit das »närrische Theater« um dieses prägende 
        Bauwerk in den ersten Jahren ab. 
      6. Schauen 
       
        Oskar Kreibich hatte so seine Probleme mit dem Umfeld von Backnang und 
        dem künstlerischen Gehalt dieser Landschaften. Bomm zitiert ihn mit 
        der Aussage: »Da stehen eh überall nur Apfelbäume«. 
        Es war wohl der 1924 geborene Sohn Reinhold Nägeles und seiner Ehefrau, 
        Thomas, der bereits als 14-Jähriger ins Exil nach Amerika geschickt 
        wurde, der Bomm dazu fährte, eine andere Sichtweise zu entwickeln. 
        In New York fand der gebärtige Stuttgarter mit seinen Eltern eine 
        neue Heimat. Hier bildete er sich zum Grafikdesigner aus und war als Lehrer 
        an einer Kunstschule bis 1993 tätig. Thomas Naegele kehrt regelmäßig 
        in den Ferienort seiner Kindheit, nach Murrhardt, zurück und hält 
        auf realistisch-abstrahierten Bildern von heiterer Farbigkeit die teilweise 
        schon verschwindende Kleinstadtidylle fest. 
        Den sporadischen, lange Zeit auch jährlichen Besuchen Nägeles 
        in der Siebdruckwerkstatt der Bomms und in Freundschaft mündenden 
        und sich zeitweise in Zusammenarbeit darstellenden Kontakten verdankt 
        Bomm eine Sichtweise, dass eben künstlerisch doch etwas mit den Apfelbäumen 
        unserer Landschaft anzufangen ist. »Der sieht Dinge, da schnallt 
        man ab« reagiert Bomm auf diese besondere Art des Sehen-Könnens 
        Nägeles, an der er sich fortan erfolgreich selbst übte - eine 
        Fähigkeit, die unlängst sogar den Fotografen der BKZ beeindruckte. 
        Und im hinteren Bereich dieser Schalterhalle sind die Ergebnisse dieses 
        vertieften Hinschauens als Siebdrucke der uns umgebenden Landschaften 
        zu sehen. Vielleicht keine spektakulären Bilder, aber stille, poesievolle 
        und atmosphärisch dichte, subjektive Zustandsbeschreibungen. 
       
        An jedem Bild, das zunächst einen realen Natureindruck wiedergibt, 
        hat einerseits unser kulturelles Verständnis vom Einklang und dem 
        Widerspruch zwischen Mensch und Natur mitgewirkt; vor allem aber ist dieses 
        Naturbild von der inneren Befindlichkeit des Künstlers geprägt: 
        von der schlichten Freude an der Schönheit von Landschaft und Gebautem, 
        vom Nachdenken über die Vergänglichkeit, noch mehr aber vom 
        Vertrauen auf das Glück des Schauens.  
      7. Schriften 
       
        Der gelernte Chemielaborant Hellmut G. Bomm entdeckte wenige Monate nach 
        Antritt seiner ersten Arbeitsstelle, dass es ihn nie erfüllen würde, 
        sein Leben lang Salpetersäure produzieren zu müssen. Dieses 
        Schockerlebnis verlieh ihm Flügel und so begann er ein Studium an 
        der Freien Kunstschule Stuttgart und der Staatlichen Akademie der Bildenden 
        Künste, wo wohl auch das Interesse für Typographie geweckt wurde. 
        Und wer Bomm kennt, weiß auch um dessen strahlende Gesichtszüge 
        wann immer man mit ihm über Schriften philosophiert. Wen mag es deshalb 
        verwundern, dass er im Untergeschoss in 2 thematischen Blöcken Schriften 
        thematisiert. Ein Themenfeld, das ihm persönlich überaus wichtig 
        ist und das ihm - nebenbei notiert - stattliche Erfolge und überregionales 
        Renommee u. a. bei Linotype eingebracht hat. 
       
        Typografie bedeutet im engeren Sinne das Gestalten mit reproduzierbarer 
        Schrift. Genauso zählt klassischerweise das Gestalten von Schrift 
        zur Typografie. Natürlich begegnet uns unter den graphischen Schriftgebilden 
        auch jene Schrift, in der sein kleiner Backnang-Führer gedruckt wurde 
        - natürlich auch eine Eigenentwicklung.  
       
        Sicherlich kann man fragen, warum neue Schrifttypen überhaupt entwickelt 
        werden müssen. Ich für mich würde diese Frage immer unter 
        dem Blickpunkt der Gebrauchsqualität, also der Optimierung der Lesequalität, 
        beantworten - weniger würde ich dazu neigen, die formale Qualität, 
        also den Aspekt der ästhetischen Befriedigung, in meine Antwort einzubetten. 
        Und so fasst es wohl auch Hellmut G. Bomm auf, der in seinem Büchlein 
        explizit die Hoffnung ausspricht, dass diese neue Schrift auch gut gelesen 
        werden könne. Gleichwohl sollten wir uns bewusst machen, dass bei 
        allen neuen Schriftentwicklungen jeder Buchstabe zunächst einmal 
        mit der Hand gezeichnet werden muss, ehe man ihn im Rechner digitalisieren 
        kann. Der Entwurf ist ein analoger Vorgang, die Verarbeitung ist ein digitaler. 
       
        Eher in die künstlerische Gestaltung geht der zweite Schwerpunkt, 
        wo uns unten Fotos aus der Küblerschen Schmiede begegnen, die alle 
        durch Bommsche Schriften angereichert und überlagert wurden und als 
        Collagen einen sehr eigenwilligen Charme ausstrahlen. Ganz spannend sind 
        die bunten Titel, die er seinen Grafiken gegeben hat - so begegnen wir 
        der »Frakturtapete«, »Leiterkobolden«, dem «Hexen-Einmaleins« 
        und dem »Zauberlehrling« - alles Momentaufnahmen des versponnenen 
        Ambientes vor der Renovierung der Schmiede. 
       
        8. Meister der klaren Form 
       
        Gegenständliches ist für Bomm Quelle und Anlass zu ästhetischer 
        Reflexion, die sich besonders in den freien Grafiken mit ihrem stark regionalen 
        Bezug niederschlägt. Und daneben stehen jene Grafiken, die man vielleicht 
        eher als Gebrauchsgrafiken definieren mag, also von der Drucksachen- und 
        Schilder-Gestaltung über die Gestaltung von Gemeindewappen und Familien-Heraldik 
        bis hin zum Design von Firmenauftritten, die aber alle heute Abend nicht 
        gezeigt werden, aber zum Teil unübersehbares Dekor unserer Stadt 
        sind. 
       
        Bomm bekennt, als Designer von einem der bedeutendsten Gestalter der Nachkriegszeit 
        inspiriert worden zu sein, der für ihn zu einem gewissen Maßstab 
        geworden ist, den er aber nie persönlich kennen lernen durfte. Und 
        es ist keine Wissenslücke, mit dessen Namen nicht direkt etwas anfangen 
        zu können, denn im Gegensatz zu Malern oder Bildhauern sind große 
        Designer (vielleicht bis auf Luigi Colani) zumeist namenlos und in der 
        Öffentlichkeit kaum bekannt. Auch ich musste im Sommerurlaub ein 
        Büchlein (»Die Welt als Entwurf«) dieses genialen Designers 
        studieren um die Bommsche Begeisterung nachvollziehen zu können. 
        Die Rede ist von Otl Aicher, der u.a. das Corporate Design der Olympischen 
        Spiele 1972 in München entwickelte, die auch durch ihn zu »fröhlichen 
        Spielen« wurden. Und er schuf Erscheinungsbilder für Braun, 
        die Lufthansa, ERCO, das ZDF und andere namhafte Firmen, die bis heute 
        teilweise unveränderte Auftritte besitzen. 
       
        Er war in seiner Stringenz und seinem vernetzten Denken Wegbereiter der 
        Idee von Corporate Identities. Und er entwarf mit der Rotis eine heiß 
        diskutierte Schrift, die heute aus Firmenauftritten und Geschäftsberichten 
        nicht mehr wegzudenken ist. 
        Aus seinen Aufsätzen wird aber auch deutlich, dass Aicher bekennender 
        Gegner der Bauhausbewegung war, der er eine Überbetonung der Künste 
        - und damit eine gewisse Vergeistlichung, einen Hang zum Irrationalen, 
        Nicht-Gebrauchsfähigen und ein Verharren an geometrischen Stilen, 
        die sich wahlweise aus den Elementen Quadrat, Dreieck und Kreis oder Kuben, 
        Zylindern oder Pyramiden ergeben - vorwarf.  
       
        Und damit berüührt er auch eine vermeintliche Diaspora, der 
        sich Hellmut G. Bomm ausgesetzt sieht: steht bei ihm der »Künstler« 
        im Vordergrund, oder versteht er sich vornehmlich als »Designer« 
        mit anderem Anspruch. »Ein Designer ist wie ein Maler, der statt 
        zu malen rechnet und misst, er ist wie ein Ingenieur, der statt zu konstruieren 
        Proportionen sucht, er ist wie ein Kaufmann, der statt am Absatz an der 
        Perfektion und der Nützlichkeit interessiert ist, und er ist wie 
        ein Bildhauer, der statt nach Formen nach Konstruktionen und technischer 
        Intelligenz sucht«, schreibt Aicher selbst.  
        Zwischen Kunst und Design gibt es eine Unvereinbarkeit. Denn Kunst kann 
        sich damit erschöpfen, eine Sache schön zu machen. Design verlangt 
        neben dem Schönen auch noch nach dem Aspekt der Richtigkeit.  
       
        - Nichts war Aicher so sehr verhasst wie Stühle im Bauhausstil, zugeschnitten 
         
        nach dem Schnittmusterbogen von Kreis, Dreieck und Quadrat, auf dem man 
         
        aber nicht mehr bequem sitzen kann - falsch! 
        - Möbel werden immer öfter als Kunstwerke zurechtgestutzt, haben 
        aber  
        keinen Gebrauchswert mehr - falsch! 
        - Häuser werden auf Quadrate und Dreiecke heruntergeschnipselt und 
        mit  
        einem Flachdach versehen, nur um einen Quader zu erzeugen, aber an den 
         
        menschlichen Bedürfnissen gehen diese Schemata vorbei - falsch! 
        - Inzwischen ist ein Besteck erfunden worden, das wahnsinnig stylisch 
         
        aussieht, mit dem es aber nicht mehr gelingt, sich Nahrung zuzuführen 
        - falsch! 
       
        Ein Stuhl zum Sitzen scheint zu trivial, das Haus zum Wohnen zu belanglos 
        und das Besteck zum Essen zu vordergründig geworden zu sein. Alles 
        ist auf das Höhere der Kunst ausgerichtet, hat reinen Symbolcharakter 
        und kaum noch Gebrauchswert ... und führt damit über die Vernunft 
        hinaus. 
       Design dagegen wird gemessen an der Sache, ihrem Sinn, ihrer sozialen 
        Verträglichkeit, an ihrem technischen Funktionieren und an ihrer 
        vernünftigen Ökonomie. Unter der Voraussetzung einer Autonomie 
        des Machens, jener Freiheit, die wie Höhenluft wirkt, lässt 
        sich aus grafischen Projekten eine eigene Sicherheit und eigenes Vertrauen 
        gewinnen, die als elementare Voraussetzungen des Könnens gesehen 
        werden können. Und ich weiß, wie sehr sich Bomm - in der Abgrenzung 
        zum Künstler - als Grafiker versteht und wie hoch er eben die spezifischen 
        grafischen Fragestellungen einschätzt und wie sehr der Zustand seiner 
        Unabhängigkeit zum Status seines großen Könnens beigetragen 
        hat. 
       
        9. Leiden an Backnang 
      Vielleicht gehört zu dieser Freiheit auch die Freiheit dann Gegenpositionen 
        aufzumachen, wenn er davon überzeugt ist, dass Entscheidungen in 
        dieser Stadt nicht Backnanggemäß gefällt worden sind und 
        beispielsweise am historisch Verbürgten vorbeigehen. Es fällt 
        uns heute recht leicht, sein Leiden an der Krankenhausentscheidung nachzuvollziehen, 
        den Abriss des historischen Bahnhofes und den gesichtslosen Neubau mit 
        ihm zu bedauern oder den Flachdachanbau an das Totenkirchle als Frevel 
        zu qualifizieren. Aber auch die Biegel-Bebauung, die sich vermeintlich 
        ausschließlich für Stadtplaner harmonisch in den altstädtischen 
        Kontext einfügt, das falsche Sanierungskonzept für unseren Stadtturm 
        sowie die optische »Verfachwerkung« unserer Altstadt, deren 
        Häuser historisch weitgehend lediglich Funktions- aber selten Sichtfachwerke 
        besaßen, geraten in seinen Fokus und lassen ihn leiden. Und es tut 
        ein wenig weh, dieses gerade am heutigen Welttag der geistigen Gesundheit 
        konstatieren zu müssen.  
       
        Ich weiß aber, dass er sich adäquaten Neuinterpretationen städtischer 
        Orte keinesfalls verschließt, wofür die Außentreppe beim 
        Turmschulhaus, Markgrafenhof sowie die Stiftshofneugestaltung deutliche 
        Belege liefern. Aber wo - entgegen besserer Kenntnis - das historische 
        Mark der Stadt verletzt wird, entsteht Betroffenheit, die ihn nicht ruhen 
        lässt und die letztlich doch nur von der großen Identifikation 
        mit seiner Heimatstadt zeugt. Und für diese liefert diese Ausstellung 
        wahrlich genügend Anhaltspunkte - ich hoffe, Sie werden sich aufmerksam 
        den Bereich rund um den Pfeiler im Eingangsbereich ansehen wo er Variationen 
        zum Stadtturm anbietet und mit harscher Kritik - auch wenn Sie als Zitat 
        aus der Feder von Georg Christoph Lichtenberg kommt - nicht spart. Balken 
        müssen wahrlich nicht immer braun angepinselt werden, wenn sie in 
        diesem Falle überhaupt sichtbar zu belassen waren... 
       
        10. Offene Stadtkultur 
       
        Die Ausstellung reiht sich ein in eine Zeitströmung, in der die deutsche 
        Grafik - mit ihrer Beispiel gebenden historischen Entwicklung und den 
        aktuellen Bahn brechenden technischen Erfindungen - gegenüber der 
        Malerei und der Bildhauerei deutlich an Gewicht gewinnt und sich zunehmend 
        als gleichberechtigtes künstlerisches Medium exponiert. In der noch 
        jungen und wenig etablierten Computergrafik verbinden sich einerseits 
        Gebrauchskunst und freie Grafik als Teil einer globalen visuellen Kultur, 
        andererseits entstehen individuelle digitale Bildfindungen, die mit aufwändigen 
        Plottersystemen nur als Unikat - mindestens aber in ganz geringen Auflagen 
        - gedruckt werden. Trotz umwälzender Erneuerungen im Druckbereich 
        zeigt die Geschichte der Druckgraphik, dass auch in Zukunft die handwerklichen 
        Techniken für Designer als Handwerkszeug aktuell bleiben werden. 
         
        Jenseits des tiefen und durchaus leidenschaftlichen Backnangbezugs, der 
        jeden Liebhaber dieser Stadt mit der Zunge schnalzen lässt, ist die 
        Bandbreite der grafischen Techniken das eigentlich Spannende an dieser 
        Ausstellung von Hellmut G. Bomm. 
       
        Am Ende meiner Rede bin ich nun doch etwas unschlüssig, ob ich die 
        selbst gewählte Diktion einer Explanatio, also einer wertfreien Erklärung 
        von Hintergründen und Beweggründen, getroffen habe, oder ob 
        daraus doch eine Laudatio geworden ist - dies stelle ich allein Ihrer 
        geschätzten Beurteilung anheim. Auf jeden Fall möchte ich Ihnen, 
        den Besuchern, die nötige Muße für vertiefte Augenerlebnisse 
        wünschen und Hellmut G. Bomm Resonanz und Erfolg. Denken Sie, werte 
        Gäste, immer daran: das höchste Lob für jeden Ausstellenden 
        sind nicht große Worte, sondern das begeisterte Interesse der Betrachter. 
        Und natürlich sind alle Blätter auch für Sie erwerbbar. 
       
       
        Die Ausstellung ist für mich ein wesentlicher Beitrag zu einer offenen 
        Stadtkultur, die sich auch als offene Gesprächskultur darstellen 
        soll. Und genau dies erhoffe ich mir von dem heutigen Abend: haben Sie 
        Freude beim Betrachten der vielfältigen Blätter und führen 
        Sie gute Gespräche hier im Hause der Kreissparkasse, die ich zu dieser 
        Ausstellung beglückwünsche und von der ich sicher bin, dass 
        sie sich regen Besucherinteresses erfreuen wird. Mit der BKZ bin ich davon 
        überzeugt, dass die Besucher hier und in dem Büchlein das »wirkliche 
        Backnang« erkennen werden - »ihr« Backnang. 
       
        Ich danke Ihnen sehr für Ihre Aufmerksamkeit! 
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